Schwindelfrei in luftiger Höhe

Forstingenieur Nikolaus Unger sorgt dafür, dass es beim Bau des Erdinger Ringschlusses zu keinen Umweltschäden kommt und dass die Eingriffe in die Natur ausgeglichen werden. Dabei bleibt der umweltfachliche Bauüberwacher mitunter nicht auf dem Boden, sondern arbeitet in luftigen Höhen: Ein ziemlich sportlicher Job, bei dem man schwindelfrei sein sollte.

Niklaus Unger ist umweltfachlicher Bauüberwacher mit besonderer Expertise: Als Baumkletterer arbeitet er in luftiger Höhe.

In einem Wäldchen östlich des Flughafens München schwingt Nikolaus Unger eine schmale Wurfleine mit Säckchen – eine Astgabel sieben Meter über sich fest im Blick. Beim dritten Versuch klappt es, die Wurfleine fällt über die Astgabel. Unger knotet ein dickeres Kletterseil an die Wurfleine, zieht es über die Astgabel, schlingt es unten um den Stamm und verknotet es. „Ich schlage das Seil an“, sagt der Fachmann. Unger ist umweltfachlicher Bauüberwacher bei der DB Engineering & Consulting mit einer besonderen Expertise: Der zertifizierte Baumkletterer kümmert sich darum, dass bei Baumfällungen keine Tiere zu Schaden kommen.

Im März rücken Bagger und ein Kran an

Unger steht in dem dicht bewachsenen Wäldchen – mit einer Hebebühne wäre hier kein Durchkommen – gleich neben dem Baufeld des Erdinger Ringschlusses. Hier baut DB Netz eine neue Strecke vom Münchner Flughafen nach Schwaigerloh (siehe Infokasten). Das Baufeld ist frei, die Bäume sind gefällt, die Wurzeln gerodet. Im März rücken Arbeiter mit Baggern und einem Kran an, um die Eisenbahnüberführung Abfanggraben Ost zu bauen. Schon Monate vorher war Unger hier unterwegs: Der umweltfachlicher Bauüberwacher hat untersucht, welche geschützten Tiere hier leben. Er hat Zauneidechsen gefunden, eingesammelt und umgesiedelt. Auch die Baumhöhlen und -nischen für Brutvögel und Fledermäuse in luftiger Höhe – ein Baumkletterer muss schwindelfrei und sportlich sein – hat er zusammen mit einem Kollegen inspiziert. Sie waren unbewohnt, wurden verschlossen und noch einmal kontrolliert, bevor die Bäume gefällt wurden.

Schneller mit dem Zug zum Flughafen

Der Erdinger Ringschluss ist die Schienenverbindung vom Münchner Flughafen über Schwaigerloh nach Erding. Anschließend ist ab Erding eine neue Strecke in Richtung Mühldorf, Freilassing und Salzburg (Walpertskirchner Spange) geplant.
Damit können Reisende und Arbeitnehmer:innen künftig aus Südostbayern und Österreich
direkt und deutlich schneller als bisher mit dem Zug zum Flughafen fahren.
Die neue Strecke Flughafen–Schwaigerloh wird 4,5 Kilometer lang und in einer Abstell- und Wendeanlage enden. Die DB strebt eine Inbetriebnahme Ende 2025 an, vorbehaltlich baulicher Verzögerungen aufgrund von Lieferengpässen oder ähnlichem.
In Schwaigerloh entsteht ein neuer Bahnhof mit zwei Bahnsteigen und einer Personenunterführung.

Mehr über das Projekt lesen Sie hier.

Unger entfernt die Plane von einer Baumhöhle. Nun können Fledermäuse sie nutzen.

 

Eine Baumhöhle in dem benachbarten Wäldchen ist noch mit einer Plane verschlossen. Unger steht am Fuß des Baumes und befestigt das Klemmgerät am Kletterseil, streift die Fußsteigklemme über und legt den Brustgurt an. Am Hüftgurt steckt eine Astsäge. Zum Schluss noch den Helm aufgesetzt – und los geht es. Unger klettert in fünf Meter Höhe, etwas oberhalb der Baumhöhle sichert er sich. Dann entfernt er die Plane. Wie erwartet ist Baumhöhle leer und nun bereit für neue Bewohner, etwa Fledermäuse.

 

Vielseitiger Job

Die Baumkletterei ist nur ein Aspekt in der Tätigkeit von Nikolaus Unger. Der 34-Jährige hat Forstingenieurwesen in Freising studiert, sich auf die Baumpflege spezialisiert, Zertifikate als Baumkletterer erworben und sechs Jahre als Baumkontrolleur gearbeitet. Vor zwei Jahren kam er zur Bauüberwachung Baumanagement Süd der DB Engineering & Consulting. „Die Baumpflege hat mir Spaß gemacht, aber ich wollte mehr mit meinem Studium anfangen, mich breiter aufstellen“, sagt Unger.

Dazu hat er jetzt viele Gelegenheiten, denn umweltfachliche Bauüberwacher kümmern sich neben dem Artenschutz auch um den Natur-, Imissions- und Gewässerschutz, um Boden und Abfall. Unger: „Nicht jeder Bauüberwacher ist Spezialist für alle Gebieten, kann aber auf Fachleute zurückgreifen. Ich lerne viel Neues, wenn ich mich in neue Themengebiete reinfuchse. Das macht die Arbeit interessant.“

Neues Zuhause für Zauneidechsen

Der Erdinger Ringschluss ist Ungers erstes Projekt – und das hat es in sich, insbesondere die Ausgleichsmaßnahmen, mit denen die Eingriffe in die Natur kompensiert werden und die Unger überwacht. So wurden am Mittleren-Isar-Kanal südlich von Reisen sechs frostsichere Habitate für die streng geschützten Zauneidechsen errichtet: Steine und Holz bieten den Reptilien Verstecke, Sandflächen eignen sich für die Ei-Ablage, Berberitzen und Rosen locken Insekten als Nahrung an. Die auf dem Baufeld eingesammelten Zauneidechsen fanden hier ein neues Zuhause. Auf der Baustellenfläche selbst sorgen grüne Schutzzäune dafür, dass die Reptilien nicht aufs Gelände und unter die Räder kommen. Unger wird das während der Bauarbeiten überwachen. Sollte sich doch ein Tier hierher verirren, wird es umgesiedelt.

Lebensraum für Kiebitze und Feldlerchen

Die Baustelle liegt außerdem in einem zusammenhängenden Netz von Schutzgebieten Europäischen Union, dem „Natura 2000“. Damit werden länderübergreifend gefährdete wildlebende heimischer Pflanzen- und Tierarten, auch Vögel, und ihre natürlichen Lebensräume geschützt. Als Ausgleich für den Erdinger Ringschluss, für die Eingriffe in die Natur und die Versiegelung von Flächen, wurde deshalb vorerst auf drei Hektar (insgesamt werden es acht Hektar) westlich des Flughafens und südlich von Pulling neuer Lebensraum für Kiebitze und Feldlerchen geschaffen: In Mulden aus Ton und Kies kann sich Regenwasser sammeln, ab April wird ringsherum eine artenreiche Blühwiese gesät. Die ersten Vögel hat Unger dort schon gesichtet.

Neuer Lebensraum für Kiebitze und Fledlerchen.