Der Tunnelbau zu München

Für die 2. Stammstrecke der S-Bahn München wird zum ersten Mal ein Tunnel bergmännisch gebaut – mitten in der Stadt, unter dem riesigen Gleisvorfeld am Hauptbahnhof hindurch. Ein Baustellenbesuch mit Bauingenieur Dietmar Voll und Ingenieurgeologe Daniel Bimesmeier.
Mit der 2. Stammstrecke für die S-Bahn München, einem der größten Infrastrukturprojekte Deutschlands (2. Stammstrecke), geht es voran: Am Hauptbahnhof und am Marienhof wird unermüdlich in die Tiefe gegraben – für die künftigen Stationen 40 Meter unter der Erde. Westlich der Donnersbergerbrücke ist der erste, 80 Meter lange, Tunnel gebaut – in offener Bauweise (eine Grube mit Deckel). Der zweite Tunnel – und der erste bergmännisch, also unter Tage, gebaute – ist der Stollen am Rettungsschacht 3 zwischen Donnersberger- und Hackerbrücke. Das bis zu 34 Meter tiefe und 55 lange Bauwerk wird zum Rettungstunnel (der parallel zu den beiden Hauptröhren verläuft) führen – als Notausgang für die Fahrgäste bei einer Störung.
Verantwortlich für den Bau des Rettungsschachts 3 ist ein fünfköpfiges Team der 2. Stammstrecke mit viel Erfahrung. Bauingenieur Dietmar Voll ist fast 50 Jahre im Geschäft: Der 67-Jährige hat in den 1970er-Jahren an der Münchner U-Bahn gebaut, aber auch Tunnel in Sizilien, Berlin, Stuttgart und im Inntal in Österreich. Auch für Daniel Bimesmeier ist es nicht der erste Tunnel. Der 34-jährige Ingenieurgeologe war an den Vorbereitungen und dem Bau in Karlsruhe und Starnberg beteiligt. Mit den Spezialisten geht es zur Baustelle des Rettungsschachts 3.

Auf der Baustelle unweit der Hackerbrücke ist es eng: Zwischen zwei Bürogebäuden, den Gleisen auf der einen Seite und der Erika-Mann-Straße auf der anderen Seite stehen Lkw, Betonsilos und blaue Container. Hier wurde ein Schacht mit einem Durchmesser von 9,5 Metern gegraben, 20 Meter geht er in die Tiefe.
Bimesmeier und Voll beobachten, wie Arbeiter einen elektrisch betriebenen Bagger an einem Kran befestigen, der ihn hinunterlassen soll. „Der Bagger wird von der Schachtsohle aus den 41,5 Meter langen Verbindungsstollen auffahren. Wir rechnen mit einer Vortriebsleistung von ein bis zwei Abschlägen pro Tag, wobei eine Abschlagslänge etwa einen Meter beträgt“, sagt Bimesmeier. Nach jedem Abschlag wird das neue Tunnelstück gesichert – mit Anker, Gittermatten aus Stahl, Bögen und Spritzbeton. Neue österreichische Tunnelbauweise (NÖT) nennen das die Experten. Zum Schluss bekommt der Verbindungsstollen noch eine 45 Zentimeter dicke, wasserundurchlässige Innenschale aus Beton.

Eine Herausforderung beim Münchner Tunnelbau ist das Grundwasser. Durch 14 Brunnen wird es während der Bauzeit abgepumpt – in den blauen Containern auf der Baustelle gereinigt und über sieben weitere Brunnen wieder versickert – und so dessen Druck gesenkt. „Aber das genügt nicht. Damit kein Wasser in den Tunnel dringt, arbeiten wir unter Tage unter Druckluft – mit einem Überdruck von bis zu 0,8 bar“, sagt Bimesmeier. Das entspricht etwa dem Druck beim Tauchen in acht Meter Tiefe. Mensch – nach einem obligatorischen Gesundheitscheck – und Material gelangen nur durch Druckluftschleusen in den und aus dem Tunnel. 120 Spezialist:innen aus ganz Europa werden arbeiten, die Mineur:innen rund um die Uhr in fünf Schichten.
2.000 Messpunkte zur Überwachung
Eine weitere Herausforderung ist vom Dach der Materialschleuse aus, auf dem sich große Kompressoren für die Drucklufterzeugung befinden, gut zu erkennen: Dietmar Voll zeigt auf gelbe Schläuche im Schotter und weiße Kästen an Masten im Gleisfeld. Auf jeder fünften Schwelle stehen Messspiegel. „An etwa 2.000 Messpunkten überwachen sowohl wir von der DB als auch die beauftragte Firma die Geländeoberfläche. Falls sich der Untergrund setzt, können wir sofort gegensteuern“, erklärt Voll. „Das Monitoringsystem aus 16 Tachymetern, Schlauchwaagen, Messspiegeln und Inklinometern ist sehr empfindlich. Das registriert sogar, wenn ein Zug vorbeifährt“, sagt Bimesmeier.
Die enge Überwachung ist wichtig, verlaufen doch nur 14 Meter über dem Rettungsschacht 13 viel befahrene Gleise (etwa nach Gauting, Lenggries und Regensburg) inklusive zweier Stammstreckengleise. „Sollte sich ein Gleis senken, können wir unter anderem die Vortriebsgeschwindigkeit und die Abschlagslänge reduzieren, die Zahl der Ortsbrustanker (Ortsbrust = vorderer Bereich beim Tunnelvortrieb) oder das Gleis nachstopfen lassen“, sagt Voll.

Am Ende des Verbindungsstollens wird schließlich ein zirka zehn Meter breiter, 13 Meter langer und neun Meter hoher Raum (Schachtkopfkaverne) gebaut. Von dort wird der untere Schacht noch einmal 13 Meter in die Tiefe führen – mit Verbindung zum künftigen Erkundungs- und Rettungstunnel der 2. Stammstrecke.